Wir haben für Sie nachgefragt…
Ein Gespräch mit dem Ökonomen Vladimír Pikora, der am vorbereiteten herbstlichen Seminar zu Gast sein wird
Zu Beginn möchte ich Ihnen danken, dass Sie Ihre Teilnahme am inspirativen technologischen Treffen von IXTENT zugesagt haben, wo ich mich auf Ihren inspirativen Vortrag zum Thema „Industrie 4.0 und der Arbeitsmarkt“ freue. Vor dieser Veranstaltung möchte ich Ihnen gerne noch einige Fragen für unsere Leser stellen:

Sie beschäftigen sich langfristig mit der Entwicklung der Industrie 4.0 – was sind Ihrer Meinung nach die größten Vor- und Nachteile der kommenden vierten industriellen Revolution?
So wie jede Weiterentwicklung der Gesellschaft wird auch diese die Gesellschaft um einen Schritt weiter bringen. Wir werden wieder reicher werden. Das ist der Vorteil. Der Nachteil ist aber, dass die Änderung sehr schnell stattfinden wird und viele Menschen nicht fähig sein werden, sich an die neue Welt anzupassen. Sie werden daran leiden. Einige werden ihre Arbeit verlieren. Einige werden ihren bisherigen Arbeitsinhalt und auch sich selbst erheblich ändern müssen. Das werden viele Menschen nicht schaffen und sie werden einen Schuldigen suchen. Sie werden psychische Probleme haben, enttäuscht und unfreundlich sein. Sie werden extreme politische oder religiöse Ansichten vertreten. Wir werden einen Weg finden müssen, wie wir diesen Menschen helfen können.

Sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen der Arbeit 4.0 und einer aufkommenden Wirtschaftskrise?
Ja, viele Menschen wissen, dass die Industrie 4.0 vor der Tür steht, und suchen Ausreden, wie sie die Transformation Ihres Unternehmens oder ihrer Branche aufschieben könnten. Menschen mögen einfach keine Veränderungen. Eine Wirtschaftsflaute oder Krise wird sie aber dazu zwingen. Sie werden keine Wahl haben, werden sich ändern und neue Technologien und Prozesse akzeptieren müssen. Dies wird unter anderem auch zu Entlassungen und zur Aufnahme neuer Mitarbeiter mit einem anderen Persönlichkeitsprofil führen.

Wann erwarten Sie, dass die Wirtschaftskrise kommen wird? Wie lange wird sie dauern?
Das hängt davon ab, was wir unter einer Krise verstehen. Wenn wir es vereinfachen und von einer Rezession sprechen, also zwei aufeinanderfolgenden Rückgängen der Wirtschaft, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dies innerhalb von einem Jahr eintreten wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass die USA als weltweit größte Wirtschaftsmacht soeben die längste Konjunktur in ihrer Geschichte erleben. Anders gesagt, es ist eher verwunderlich, dass die Rezession noch nicht eingetreten ist. Daneben gibt es auch eine Reihe weiterer Indikatoren, die aufzeigen, dass die Weltwirtschaft ihre besten Jahre hinter sich hat. Außerdem finden gerade in der Automobilindustrie, auf der unsere Wirtschaft aufgebaut ist, erhebliche Veränderungen statt, die zu einem Rückgang der Produktion führen. Ein weiterer Faktor ist der drohende Handelskrieg, der der Wirtschaft nichts Gutes bringen wird.

Kann für die kommenden Jahrzehnte eine Entwicklung des Immobilienmarktes vorausgesehen werden?
Der Immobilienmarkt in ganz Europa ist im Moment überhitzt. Die Immobilienpreise erreichen Rekordhöhen. Diese Situation ist nicht normal. Es ist zu erwarten, dass die nächste Rezession diese Immobilienblase platzen lässt. Die Preise werden sinken, aber nur kurzfristig. Langfristig erwarte ich ein weiteres Wachstum der Immobilienpreise. Ich glaube, dass die Preise in zehn Jahren höher als heute sein werden.

Wie nehmen Sie den derzeitigen Trend wahr, dass die Menschen im Zusammenhang mit dem Wohnen hoch verschuldet sind?
Die momentane Situation ist sehr ungesund. Die Immobilienpreise sind zu hoch und die Menschen verschulden sich oft mehr als sie sollten. Viele Menschen werden Probleme mit dem Abbezahlen von Krediten haben, sobald der Arbeitsmarkt nicht so überhitzt ist wie heute und sie Arbeit suchen werden. Ich befürchte, dass das negative gesellschaftliche Auswirkungen haben wird. Die können sich dann auch in der Politik bemerkbar machen. Vor einigen Jahren hätte noch kein Politiker den Mut gehabt zu sagen, dass ein Mensch höchstens eine Wohnung besitzen sollte oder dass Wohnungen enteignet werden sollten. Heute sagen dies manche Menschen schon frei heraus. Das sind erhebliche Risiken für die Demokratie. Die Situation auf dem Immobilienmarkt und die große Verschuldung der Haushalte sind die Zündschnur für radikale Änderungen in der Politik.

Wie stark ist das Interesse an Vorträgen zur finanziellen Allgemeinbildung, die Sie für Grundschulen anbieten? In Anbetracht dessen, wie viele Menschen in Tschechien verschuldet sind, würde ich so etwas in die verpflichtenden Lehrpläne aufnehmen…
Dies ist für mich ein sehr trauriges Thema, denn ich würde eigentlich erwarten, dass die Schulen so etwas begrüßen würden. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Ansichten in den Schulen sehr verschieden sind. Es gibt Schulen, die mich alljährlich und wiederholt einladen. Andere Schulen haben absolut kein Interesse an solchen Neuerungen. Sie möchten den Unterricht genauso gestalten wie vor dreißig Jahren. Die Lehrer an diesen Schulen machen immer einmal pro Jahr einen Ausflug in den Zoo und möchten daran auch nichts ändern. Einen kostenlosen Vortrag über Finanzkompetenzen möchten sie nicht. Das Problem liegt bei den älteren Lehrerinnen. Sie sind unflexibel. Manchmal passiert es mir, dass diese Lehrerinnen nach meinen Vorträgen oder nach den Diskussionen mit den Kindern zu mir kommen und es bedauern, meine Märchen zur Finanzkompetenz nicht schon früher gelesen zu haben, weil sie sich sonst nicht so hoch verschuldet hätten. Und solche Menschen sollen laut den Lehrplänen unseren Kindern beibringen, wie sie mit Geld umgehen sollten. Sie können es selbst nicht und möchten es oft auch nicht mehr lernen!

Was würde aus wirtschaftlicher Sicht geschehen, wenn Tschechien aus der EU austreten würde?
Das ist schwer zu sagen. Es ist zu hypothetisch. Denken Sie an Großbritannien – dort weiß man schon drei Jahre lang, dass der Brexit kommen wird, aber wie, das weiß man nicht. Ich glaube, dass wir dieser Frage keine große Aufmerksamkeit widmen müssen, da zwar ab und zu jemand vom Czexit spricht, aber unter den Politiker und Wählern hat dieser Gedanke nur sehr wenige Befürworter.

Nun zu den persönlicheren Fragen, falls das für Sie in Ordnung ist…

Ihr Privatleben ist mit dem beruflichen sehr eng verbunden – mit Ihrer Ehefrau (Anm. d. Redaktion: Markéta Šichtářová, eine ebenfalls sehr erfolgreiche Ökonomin) betreiben Sie eine Analytik- und Konsultationsgesellschaft, nehmen Sie das als vorteilhaft wahr?
Für mich persönlich ja, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass meine Frau einen anderen Beruf ausüben würde, den ich nicht verstehe. Die Vorstellung, dass ich zum Beispiel ein LKW-Lenker bin und meine Frau Schauspielerin oder Ärztin, ist für mich undenkbar. Ich weiß nicht, worüber solche Menschen dann zuhause sprechen. Wir besprechen zwar außerhalb der Arbeitszeit meist keine Arbeitsthemen, aber wir verstehen einander. Dank unserem Beruf haben wir ähnliche Gedankengänge und kommen bei vielen Themen automatisch zu einer Übereinstimmung (seien es Namen der Kinder oder die Farbe der Couch) und wir wissen auch, warum dieser oder jener Tag für den anderen wichtig oder unwichtig ist. Aber Menschen sind verschieden, anderen Leuten würde dieses System vielleicht nicht gefallen. Ich bin so zufrieden.

Im Herbst erwartet Sie und Ihre Ehefrau das bereits fünfte freudige Ereignis in der Familie. Wie kommt es, dass zwei Ökonomen eine so große Familie gründen? Bringt diese Situation nicht gewisse „persönliche wirtschaftliche Risiken“?
Ich muss Sie korrigieren. Sie haben ungenaue Informationen. Wir erwarten unser sechstes Kind und im Herbst wird die Geburt längst hinter uns liegen. Die Anzahl der Kinder hängt weder mit unserem Beruf noch mit der wirtschaftlichen Gegenwart oder Zukunft zusammen, sondern mit einer konservativen Weltauffassung. Wir sind einfach der Meinung, dass es Sinn macht, Kinder zu haben. Kinder sind eine Freude.

Da stimme ich Ihnen voll zu…. Weihen Sie auch Ihre Kinder in die Geheimnisse der Ökonomie ein (natürlich in einer altersgerechten Form)?
Ja, ich habe für sie ein Märchenbuch über die Finanzkompetenz geschrieben. Dieses Buch wurde auch herausgegeben und kann unter dem Namen Zlatý poklad (Der Goldschatz, Anm. d. Übers.) gekauft werden. Die Kinder hören sie oft vor dem Zubettgehen als Hörbuch. Und auch sonst sprechen wir natürlich über Dinge, die uns im Leben entgegenkommen. Ich glaube, dass unsere Kinder einen guten Überblick haben.

Jetzt erlaube ich mir eine thematische Rückkehr in den beruflichen Bereich – zum Thema der digitalen Transformation…

Die vierte industrielle Revolution wird die Firmen zwingen, ihre Betriebsinhalte zu digitalisieren, um ihre Konkurrenzfähigkeit zu steigern, ihre Arbeit effektiver zu gestalten und um Personalkosten zu sparen… Ist abschätzbar, wann die Firmen vollständig papierlos arbeiten werden?
Das ist eine sehr interessante Frage. Allgemein gilt, dass je reicher die Wirtschaft (der Staat) oder die Gesellschaft (die Firma) sind, desto früher wird sie papierlos werden. Ich persönlich arbeite bereits auf diese Weise. Ich habe Papier und Stifte aus meinem Büro entfernt. Alles ist elektronisch. Ich bin auch Visitenkarten losgeworden. Ich möchte sie auch nicht annehmen – ich fotografiere sie und gebe sie zurück. Danach sende ich auf elektronischem Wege die meine. Das Ergebnis ist, dass es für mich fast schon ein Problem darstellt, jemandem eine Widmung ins Buch zu schreiben, da ich mir den Umgang mit Stiften schon abgewöhnt habe. Meine Frau ist das genaue Gegenteil. Bei jedem Telefonat macht sie Notizen auf Papier. Da sehen Sie es: eine Firma, zwei Auffassungen. Es geht also darum, wie sich die Menschen in verschiedenen Firmen einigen können. Ich kann mir vorstellen, dass es mancherorts eine Frage von wenigen Monaten sein wird, bis die Firma auf papierlosen Betrieb übergehen kann. In anderen Firmen wird es jahrelang dauern oder gar nicht zustandekommen. Das hängt von individuellen Menschen ab.

Haben Sie persönliche Erfahrungen mit dem Einsatz von Verwaltungssystemen für Betriebsinhalte?
Das hängt davon ab, was genau Sie sich darunter vorstellen. Aber ich habe in mehreren Banken gearbeitet und überall ist so ein System vorhanden.

Bis wann sollten Unternehmen Ihrer Meinung nach die digitale Transformation abgeschlossen haben und warum?
Ich persönlich würde es sofort empfehlen. In digitalen Dokumenten kann gesucht werden. Mit Papier ist das zwar auch möglich, aber es ist eine höllische Arbeit, wenn Sie tausende Seiten durchsuchen sollen. Außerdem können digitale Dokumente gut sichergestellt werden. Andererseits sind sie einfacher zu stehlen, ohne dass jemand etwas bemerkt. Alles hat seine Vor- und Nachteile.

Vielen Dank für das Gespräch, am 26. September werden wir uns auf Sie in der kanadischen Botschaft freuen – ich, meine Kollegen von IXTENT und unsere Gäste.

Einladung

Annotation des Vortrages im September:
„In den nächsten zehn Jahren wird die Wirtschaft solche Änderungen durchmachen, die die Menschheit noch nie erlebt hat. Neue Technologien, Roboter und die künstliche Intelligenz werden sie bis zur Unkenntlichkeit verändern. Am spürbarsten wird dies am Arbeitsmarkt sein. Viele Menschen werden arbeitslos werden. Viele Berufe werden untergehen. Viele andere werden entstehen. Für viele Menschen wird das sehr unangenehm, weil sie sich verändern werden müssen. Auch die Firmen werden sich verändern müssen. Es werden andere Produktionsprozesse funktionieren und die Firmen werden viele Menschen durch technologische Lösungen ersetzen. Dadurch ändert sich nicht nur die Produktion, sondern auch die Art der Firmenleitung. Auch die Mitarbeiter werden anders sein. Sie werden mehr von Zuhause aus arbeiten. Sie werden mehr zu Zeiten arbeiten, die heute eher ungewohnt sind. Auch die Kommunikation wird anders sein. Wer diese Änderung verschläft, der endet. Die Konkurrenz wird erschreckend riesig sein. Die Wirtschaft wird noch schneller als heute voraneilen.“ Vladimír Pikora, Nextfinance